
Gerade sitze ich mit
drei Mädchen in der Mädchenstunde um einen Tisch. Wir sind mit einer
Bastelarbeit beschäftigt. Gemeinsam wollen wir kleine Laternen gestalten, in
welche man später ein Teelicht hineinstellen kann. Die neunjährigen Mädels sind
ganz eifrig dabei die aufgedruckten Krippenfiguren mit Buntstiften auszumalen.
Sorgfältig und geschickt setzen sie einen Strich nach dem anderen. Tia
Christiana schaut an unserem Tisch vorbei und lobt anerkennend die Arbeiten der
Mädchen. Dann wirft sie einen Blick zum Tor hinaus und meint zu mir: „Oh es
fängt an zu regnen. Ich geh schnell mal meine Wäsche abhängen!“ Lächelnd
verlässt sie den Kindersaal. Verwundert stelle ich fest, dass in diesem Moment
drei Mädchenköpfe in die Luft sausen und zum Tor hinausstarren. Sekunden später
springen sie von ihren Plätzen auf, raffen ihre Bastelsachen zusammen und rufen
uns Mitarbeiterinnen nur zu: „Wir müssen schnell unsere Wäsche hereinnehmen! Es
fängt an zu regnen!“ Dann rennen sie hinaus auf die Straße und verschwinden in
den verwinkelten Gassen der Favela. Was für eine Aufgabe: Mit nur neun Jahren
sind sie bereits für die Wäsche ihrer Familien zuständig. Viele der Mädchen
übernehmen bereits in diesem frühen Alter die Verantwortung für die jüngeren
Geschwister und den Haushalt. Was für eine schwere Last!
Nach der Kinderstunde

Die Kinderstunde der
Kleinen ist gerade zu Ende und die meisten Kinder verlassen springend und
hopsend den Kindersaal. Duda steht noch auf der Straße als ich hinauskomme. Sie
ist ca. zweieinhalb Jahre alt, sehr klein und ziemlich verwahrlost. Sie ist die
jüngste Schwester von Joan-Vitor (vgl. letzten Rundbrief). „Tia!“ (Tante), ruft
sie und streckt mir ihre dreckigen Ärmchen entgegen. Ich nehme sie auf den Arm
und frage sie, ob ich sie nach Hause bringen soll. Sie nickt. So laufe ich mit
ihr die Straße entlang, während sie ihr kleines Köpfchen an meine Schulter
drückt und sich an mich anschmiegt. Ihre Cousine Jenny hat uns nun entdeckt und
möchte ebenfalls auf meinen Arm. So laufe ich bald mit zwei Kindern auf den
Armen die Straße hinunter. Vor ihrem Haus angekommen, hocke ich mich hin, lasse
sie herunter und sitze noch einen Moment bei ihnen, bevor ich mich auf den
Heimweg mache. Doch Jenny und Duda laufen mir hinterher. Sie wollen nicht zu
Hause sein, sie wollen bei mir bleiben. Immer wieder sage ich ihnen, dass sie
nach Hause zurückgehen sollen, aber sie springen um mich herum und betteln, mit
mir kommen zu dürfen. Ernstes Zureden und ein erneutes Heimbringen und
Übergeben an die Mutter klärt dann die Situation. Und mir blutet das Herz, sehe
ich doch, wie sehr sich diese Kinder nach wahrer Liebe und Annahme sehnen.
In den Dreck der Favela
Gerade
bin ich am Zuschneiden der Sterne, die wir als Dekoration für den Kindersaal
basteln wollen, da fällt mein Blick, wie so oft, auf die Favela unter unserem
Fenster. Favela, denke ich, dieser Begriff steht wir Dreck und Müll, Gestank
und offene Abwasserkanäle, für Enge, für dreckige und verwahrloste Kinder, für
eiternde und schlecht verheilende Verletzungen, für Süchte aller Art und Armut.
In diesem Moment wird mir eines bewusst: wie oft gleichen unsere Herzen doch
einer Favela. Wie oft sind sie voll vom Dreck und Müll unserer Sünden, vom
Gestank unserer Selbstsucht und unseres Egoismus, von Herzensenge gegenüber
anderen Menschen, von schlecht verheilten und eiternden seelischen
Verletzungen, von Unvergebenheit, Süchten aller Art und von geistlicher Armut.
Ja, denke ich, wir tragen oft eine Favela in uns. Und ausgerechnet in den
Schmutz und den Müll, den Gestank und die Armut kommt Jesus und spricht: „Siehe
ich mache alles neu!“
Es
grüßen euch herzlich und wünschen euch einen gesegneten 3.Advent,
eure
Miriam und Robbe
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